Interview Dipl.-Psychologe Gerhard Hafner zu "Kind im Blick" und Täterarbeit nach häuslicher Gewalt
Herr Hafner könnten Sie sich bitte einmal kurz vorstellen.
Mein Name ist Gerhard Hafner. Ich bin diplomierter Psychologe, einmal bei „Kind im Blick“ und zum anderen auch bei der Beratung für Männer gegen Gewalt. Das gemeinsame Thema dieser zwei Projekte ist die Gewalt gegen Frauen beziehungsweise die Gewalt gegen die Kindesmutter und die Auswirkung dieser auf die Kinder.
Kommen wir zu dem Projekt des SkF e.V. Berlins: „Kind im Blick“. Was bedeutet der Name?
„Kind im Blick“ soll zeigen, dass die Kinder nicht aus dem Blick geraten. Oftmals ist es wirklich so, dass die Kinder am Rande stehen.
Gerade, wenn wir mit Vätern reden, dann haben sie vergessen, dass das, was sie in der Familie tun, also Gewalt gegen die Kindesmutter, die Kinder massiv schädigt; und zwar auch dann, wenn sie vielleicht nicht direkt dabei gewesen sind. Die Folgen davon sehen sie am nächsten Morgen oder in der Atmosphäre.
Oftmals geraten tatsächlich die Kinder nicht nur bei den Tätern aus dem Blick, sondern auch in der Gesellschaft. Das gilt auch für die Gerichte, die dann auch mal sagen: „Den Kindern ist ja gar nichts passiert.“; …und deshalb erhalten Väter weiterhin Umgang, ohne dass sich tatsächlich etwas verändert hat.
Am Samstag, den 04. Juni, war der „Internationaler Tag der Kinder, die unschuldig zu Aggressionsopfern geworden sind“. Was sind ihre Aufgaben bei „Kind im Blick“?
Die Aufgaben sind, erstmal zu sehen: Was ist passiert? Wir schauen, wie die Kinder die Gewaltsituation in der Familie erlebt haben und wie sie darunter leiden. Eine Aufgabe meinerseits ist es, ihnen zu helfen, sie zu unterstützen und für zukünftige Fälle der Eskalation an die Hand zu nehmen.
Wichtig ist einfach, dass die Kinder ernst genommen werden. Wir unterstützen bei dem, was sie vielleicht gar nicht ausdrücken können. Dabei stellen wir ihnen Mittel, wie zum Beispiel mit Malen, Puppen oder einer Aufstellung zur Verfügung. So können sie erzählen, was in ihnen vorgeht.
Wie wirkt sich ein gewalttätiges Umfeld auf die Kinder und ihre Entwicklung aus?
Kinder, die das erleben mussten – dass die Mutter geschlagen, massiv unter Druck gesetzt, gedemütigt, oder nicht ernst genommen wurde – entwickeln auch oftmals depressive Symptome. Es ist zu beobachten, dass die schulische Leistung abnimmt. Manchmal ist es eine Konzentrationsschwäche oder eine Störung des Bindungsverhaltens, die vorliegt. Es gibt also massive Probleme in der kindlichen Entwicklung. Auch in Bezug auf ihre Intelligenz kann man Folgen beobachten: Die Kinder werden massiv geschädigt! Das sind immer auch Erkenntnisse, die auch den Vätern beigebracht und gesagt werden müssen. Sie (die Väter) bagatellisieren das, was sie ihren Kindern antun. Sie müssen wissen, dass sie keine guten Väter sein können, wenn sie Gewalt gegenüber der Kindesmutter ausüben.
Seitenumbruch
Sie sind ja schon über 30 Jahre im Bereich der Täterarbeit beschäftigt. Was sind die Ursachen dafür, dass Männer gewalttätig werden?
Es ist sehr vielfältig, warum Männer gewalttätig werden. Oft natürlich auch Belastungen oder viel Stress. Sie haben auch manchmal Probleme mit Alkohol oder Drogen. Dennoch ist das alles kein Grund dafür, dann gewalttätig zu werden.
Manchmal haben Männer nicht gelernt, mit Konflikten gut umzugehen. Das heißt, sie können sich nicht mit ihren Partnerinnen hinsetzen und Probleme, die es immer in einer Beziehung oder in einer Familie gibt, einvernehmlich und verträglich lösen.
So ein Verhalten versuchen wir den Männern auch beizubringen. Also, dass sie auch zuhören, ihre Partnerinnen ernst nehmen und respektieren, und dass sie vielleicht auch Hilfe holen, wenn es gerade mal nicht so gut geht. Es ist wichtig, dass sie Probleme nicht mit Gewalt lösen!
Werden die Männer, die Gewalt in der Familie ausgeübt haben, zu Ihnen geschickt? Wie läuft das genau ab?
Ja, die Männer werden meistens geschickt. Einige kommen auch freiwillig, also aus freien Stücken, weil sie bemerken, dass das, was sie getan haben, das ganze Familiensystem und ihre Kinder schädigen. Normalerweise wollen alle Väter auch gute Väter sein; aber oft braucht es eben einen Druck von außen, wie zum Beispiel eine Auflage – entweder eines Jugendamtes oder eines Familien- oder Strafgerichts – so dass die Männer zu uns in die Täterarbeit finden. In Bezug auf die Täterarbeit: Wir haben jährlich immer ca. 300 Männer, die in unsere Täterberatung kommen. Unsere zwei parallell-laufenden Kurse dauern immer ein halbes Jahr. Das sind also ca. 25 Sitzungen, die von mir und einer Psychologin geleitet werden.
Wie ist die Erfolgsquote bei dieser Täterarbeit?
Es ist schwierig, zu sagen, was Erfolg ist. Wenn es weniger Gewalt gibt, dann ist es ein Erfolg. Wir geben den Männern ja auch immer mit, dass sie nicht geheilt sind. Wie ein Alkoholiker, der gelernt hat, ein trockener Alkoholiker zu sein, erinnern wir sie, dass sie ein trockener Gewalttäter sind! Das heißt, dass sie aufpassen müssen!
Wir haben einen engen Kontakt zu den Partnerinnen. Meine Kollegin arbeitet ja direkt mit den Frauen. Das ist für uns immer der beste Gradmesser. So können wir schauen, ob es gewirkt hat. Gibt Veränderungen? Schön, wenn die Partnerinnen sagen, dass der Mann aufmerksamer geworden ist und er offensiv, aber nicht aggressiv Probleme anspricht.
Es gibt aber auch Männer, die rückfällig werden, ganz klar! Manchmal führen Stresssituation dazu, dass die Täter wieder in ihr gelerntes Verhaltensmuster zurückfallen. Wenn die Männer das als ihr Problem ansehen und uns berichten, dann können wir damit arbeiten. Wenn sie das bagatellisieren, also wenn sie dazu überhaupt nicht berichten, dann können wir nicht mit ihnen weiterarbeiten.
Welcher Schritt wird dann bei einem Rückfall meist gewählt?
Wir haben ja einen Kontakt zu den Partnerinnen. Meistens erzählen schon auch die Männer, dass sie wieder rückfällig geworden sind. Es gibt aber auch Fälle, da bagatellisieren sie es tatsächlich. Dann muss dies mit ihnen besprochen werden. Wir können nur mit Personen arbeiten, die tatsächlich auch einsichtig sind. Das ist die Grundvoraussetzung.
Kommen wir zurück zum Thema Kinder. Wie wichtig ist es für Heranwachsende, den Kontakt zu ihren Vätern aufrechtzuerhalten, obwohl diese in der Vergangenheit gewalttätig waren?
Am Allerwichtigsten ist es, dass die Kinder und ihre Mütter geschützt sind. Ein Kontaktumgang, wenn es weiterhin Eskalation, Demütigungen oder Beleidigungen gibt, tut den Kindern nicht gut und schädigt sie enorm. Also von daher ist es wichtig, dass die Täter auch lernen, dass sie Einsicht haben und ihr Verhalten verändern müssen. Wenn das passiert, dann kann man darüber reden, dass sie tatsächlich wieder Kontakt aufnehmen können. Bevor keine Einsicht bei den Tätern besteht, macht es wenig Sinn, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Dies würde weiter schädigen.
Meine letzte Frage wäre, was wünschen Sie sich für die Zukunft in Hinsicht auf die Täterarbeit?
Ich würde mir wünschen, dass die Väter auch sehen, was sie tun und das nicht nur in Bezug auf Gewaltverhinderung. Väter sollten sich stärker positiv einbringen. So zusagen, dass sie an einer gleichberechtigten Elternbeziehung interessiert sind und sie sich engagieren, gerade wenn die Kinder klein sind, aber auch im weiteren Verlauf.
Vielen Dank, Herr Hafner!