Abgehängt oder die Kunst des (Über)Lebens?
Nicht jede Person ist in jeder Situation gleich fähig, kraftvoll die Dinge zu richten – oder eben nur über eine gewisse Zeit.
Wer heute z.B. ohne adäquate digitale Kommunikation auskommen muss, ist schon außerhalb der Gesellschaft stehend. Kein Handy-Vertrag, kein Computer, keine Internet-Flat, kein Online-Banking – kein solventer Job?!
Wie lange kann dies ausgehalten werden? Jede/r hat ein persönliches Limit – es werden Auswege gesucht, Rückhalt – nicht immer im Sinne unseres rechtsstaatlichen Verständnisses. Drogen beispielsweise – auch illegaler Art – scheinen ein Ausweg. Aber der Weg führt häufig in noch größere Abgründe?!
Über 4.000 Personen in Berlin befinden sich momentan im offenen oder im geschlossenen Strafvollzug. Davon sind aktuell 237 Plätze von Frauen belegt. Es kann also festgestellt werden, dass Frauen eine Minderheit im Straffälligen-Vollzug ausmachen. Viele wurden durch prekäre Lebenssituationen straffällig (Quelle: Belegungsstatistik von 20.04.2022 – https://www.berlin.de/justizvollzug/service/zahlen-und-fakten/belegungsstatistik/).
Dem Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin ist eine menschenwürdige und legale Teilhabe am Leben, und zwar auch für inhaftierte Frauen, sehr wichtig. Deshalb wurde vor über 30 Jahren die Straffälligen- & Gefährdetenhilfe TAMAR ins Leben gerufen.
Zwei hauptamtliche – eine Sozialpädagogin, eine Sozialarbeiterin in Teilzeit – sowie 13 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen begleiten straffällig gewordene Frauen: vor, während und nach einer Haftstrafe; aber auch ihre Angehörigen. Mithilfe eines ganzheitlichen und frauenspezifisch ausgerichteten Konzeptes, werden für alle Themen und Probleme rund um eine Haft gemeinsam Lösungen gesucht und gefunden.
Das Projekt TAMAR begleitet und stellt deshalb einen Grundstein des Resozialisierungsprozess dar. Um dies bestmöglich zu gewährleisten, geht das Team individuell auf die Frauen, ihre Bedürfnisse und Notlagen ein. Somit wird deren Stärke zur Selbsthilfe gefördert. Zu betonen ist, dass sich dieses Beratungsangebot an alle Frauen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, und deren Angehörige richtet. Hierbei werden weder ethnische Herkünfte noch Konfessionen ausgeschlossen.
Die Hilfestellung wird durch Anwendung von Beratung, Betreuung, Informationsausgabe, Begleitung, Krisenintervention, Versorgung und Vermittlung gewährleistet. Hierbei kann sowohl die Beratungsstelle aufgesucht werden, oder das Team besucht die Klientinnen in den vier Haftanstalten des Berliner Frauenvollzugs.
Ebenso wird inhaftierten Frauen des offenen Vollzuges eine Hafturlauber-Wohnung zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot von TAMAR richtet sich an Frauen, die Übernachtungs-Urlaub beanspruchen und in Berlin über keine sozialen Kontakte verfügen, beziehungsweise diese abbrechen wollen. Während dieses Hafturlaubs werden Frauen zur Organisation eines Lebens außerhalb der Justizvollzugsanstalt befähigt und zur Selbstständigkeit ermuntert. Neben der Urlaubswohnung steht straffällig gewordenen Frauen eine Übergangswohnung nach ihrer Entlassung aus der Haft zur Verfügung.
Ergänzend bietet TAMAR seit 2006 mit KidMobil, das einzigartig in ganz Deutschland ist, den inhaftierten Müttern einen ehrenamtlichen Begleitdienst zu Besuchen in die Haftanstalt für ihre Kinder, die sich im Alter von 0 bis 14 Jahren befinden. Somit kann der Kontakt aufrechterhalten werden und die Mutter-Kind-Beziehung bestehen bleiben. Eine Kindesentfremdung kann also durch dieses Programm von TAMAR verhindert werden.
Der SkF e.V. Berlin sorgt sich um das Wohlergehen ALLER Frauen, unabhängig von ihrer Vorgeschichte, und um das ihrer Kinder. Deshalb ist die ehrenamtliche Begleitung Minderjähriger in die JVA durch KidMobil von enormer Bedeutung, nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch für den Weiterentwicklungs- und somit den Resozialisierungsprozess der inhaftierten Frauen. Die Kinder werden von den ehrenamtlichen Helfer*innen für die Spielstunde in die Haftanstalt begleitet und von dort wieder abgeholt. Dabei kann auch eine intensive Beziehung zwischen den Ehrenamtlichen und den Minderjährigen entstehen. Deswegen benötigt TAMAR Spenden, um Ausflüge und kleine Geburtstagsüberraschungen für die Kinder zu organisieren.
Eine Haftstrafe stellt immer eine enorme Belastung dar. Nicht nur die Mütter werden bestraft, sondern vor allem ihre Kinder. Eine Trennung von der oft einzigen Bezugsperson zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg und führt zu einem traumatischen Erlebnis, welches oft Folgen für ihr ganzes Leben hat. KidMobil fängt auf und hilft durch die Aufrechterhaltung der Mutter-Kind-Beziehung bei der psychischen Entwicklung der Kinder.
Hier ein Ausflug zu einer kleinen Geschichte der Sesam-Straße der frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts:
Ein Kind suchte seine Mutter. Nun wurde das Kind nach seiner Mutter befragt, um sie zu finden. Es sagte: „Meine Mutter ist die schönste Frau der Welt.“ Alle versuchten die schönsten Frauen der Welt zu finden, aber die Mutter war nicht dabei; als plötzlich eine einfach und unscheinbar aussehende Frau erschien und das Kind seine Mutter erkannte und diese freudig in die Arme schließt, wunderten sich alle.
Und die Moral von der Geschichte?
Wer frei von Makel ist, werfe den ersten Stein!